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Lügen und ADHS

Aus ADHSpedia
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Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene mit ADHS können Neigungen zu ungeplantem und – seltener – auch pathologischem Lügen entwickeln. Das Lügen dient meist dazu, die ohnehin häufig auftretenden Konfliktsituationen, Bestrafungen und Verärgerungen anderer zu vermeiden oder sozial weniger aufzufallen. Darüber hinaus können sogenannte Konfabulationen beobachtet werden. Diese bezeichnen das spontane, nicht unbedingt bewusste Ersetzen von nicht direkt abrufbaren Begebenheiten in eine Aussage durch eine passende (aber unwahre) Erklärung – zum Beispiel mit dem Ziel, den eigenen Redefluss nicht zu unterbrechen oder (scheinbare) Widersprüchlichkeiten zu vermeiden. Systematische Untersuchungen, die sich dem Zusammenhang zwischen ADHS und Lügen im Speziellen widmen, wurden bislang nicht unternommen.[1]

ADHS und Konfabulation

Als Konfabulieren bezeichnet man das Einbringen oder Modifizieren von Begebenheiten in einer Aussage, um vergessene oder im Augenblick nicht abrufbare, subjektiv als unwichtig empfundene Informationen und Erinnerungslücken auszugleichen.[2] Das Einbringen oder Modifizieren der meist nebensächlichen und weniger relevanten Unwahrheiten kann zum Beispiel dazu dienen, den Redefluss nicht durch Nachdenken zu unterbrechen. Es handelt sich nicht um pathologisches Lügen (Pseudologie) oder um ein Lügen mit vordergründig manipulativen Interessen, wie etwa bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung oder der (selten komorbid auftretenden) hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens. Vielmehr handelt es sich um Versuche, in sozialen Situationen nicht negativ aufzufallen:

„Ein reduziertes Selbstwertgefühl bei Menschen mit einer ADHS kommt aber auch zustande, da die betroffenen Personen die kognitiven Defizite kompensieren müssen, um im sozialen Kontext nicht noch mehr aufzufallen: Immer wieder müssen sie zu Notlügen greifen oder sie konfabulieren, um nicht aufzufallen. So berichtete eine ADHS-Patientin, dass sie sich jeweils den ersten wichtigen Begriff eines Dialogs besonders gut merkte, um nicht in eine peinliche Situation zu geraten, falls sie in zu langen Gesprächspassagen des Gegenübers den Faden verlor. So konnte sie den Anschein aufrechterhalten, dass sie dem Gespräch problemlos Folgen konnte.“[2]

Piero Rossi, 2001

Umgang im therapeutischen Setting

Verstrickte Täuschungsversuche können aufgrund der mangelhaften verbalen Kontrolle ADHS-Betroffener von anderen meist schnell durchschaut werden. Sporadische, nebensächliche Konfabulationen fügen sich hingegen oft lückenlos und unauffällig in tatsächlich Erlebtes ein und wirken zunächst glaubwürdig. Sie sind vom Therapeuten oft nicht direkt als solche zu identifizieren. Entdeckt der Therapeut eine Neigung zur maladaptiven Konfabulation, sollte diese nach Möglichkeit behutsam (auf Augenhöhe) oder indirekt („durch die Störung hindurch“) adressiert werden, um diese letztlich gemeinsam mit dem Klienten als maladaptives Verhalten identifizieren und bearbeiten zu können. Im Fokus steht dabei die Entwicklung adäquater Coping-Strategien, welche das Konfabulieren ersetzen sollen.

Folgen

Ein Merkmal der ADHS ist eine unzureichende Fähigkeit zur verbalen Selbststeuerung, die in den schwach ausgeprägten exekutiven Funktionen und mangelhaften Coping-Kompetenzen verwurzelt ist. Die damit verbundenen Ohnmachtsgefühle haben gegebenenfalls extreme Verhaltenstendenzen zur Folge. Beispielsweise entscheiden sich Betroffene für das Anwenden starrer Verhaltensregeln, wie:

  • Ein grundsätzliches, bedingungsloses Aussprechen der Wahrheit, auch in Situationen, in denen dies unangemessen ist und unangenehme Folgen für alle Interaktionspartner hat, oder
  • ein spontanes, ungeplantes und gegebenenfalls unter (verdeckter) Scham vollzogenes Verstricken in (durchsichtige) Lügenkonstrukte, ggf. begleitet von einem unnachgiebigem Beharren auf diesen Unwahrheiten.

Beide Varianten sind mit negativen, durchaus langfristig wirkenden sozialen Konsequenzen und Stigmatisierungseffekten verbunden, unter denen die Betroffenen leiden. → Siehe auch: ADHS-Teufelskreis.

Kritik

Die in diesem Artikel erläuterten Phänomene treten auch in Zusammenhang mit anderen Schwierigkeiten, psychiatrischen Erkrankungen oder ADHS-Komorbiditäten auf und sind nicht spezifisch, typisch oder kennzeichnend für ADHS.

Zitate

  • „Aufgrund ihrer Schwierigkeiten im Bereich der exekutiven Funktionen neigen Menschen mit ADHS zu einer problematischen Kommunikationsweise. Dies lässt sie in den Augen anderer – und manchmal sogar sich selbst gegenüber – als unglaubwürdig dastehen.“[3]
  • „Menschen mit ADHS kann es passieren, dass sie sich nicht, oder nicht mehr genau daran erinnern können, was sie zu einem früheren Zeitpunkt gesagt hatten – und daraufhin versuchen, das von ihnen tatsächlich Geäußerte nachträglich zu erraten.“[4]
  • „Das Eheleben ist oftmals gezeichnet von den Kommunikationsproblemen, die ADHS mit sich bringt. Man denke an den ermatteten Ehepartner eines ADHS-Betroffenen, der immerzu zu hören bekommt: 'Das ist nicht das, was ich gesagt oder gemeint habe' – obwohl es tatsächlich eben doch genau dies war, das gesagt oder gar gemeint wurde. Um es zu wiederholen: Das Problem muss nicht in einem etwaigen Lügen begründet liegen, sondern vielmehr in der problematischen (aber 'wahrheitsgemäßen') Art und Weise der Informationsverarbeitung des ADHS-betroffenen Ehepartners.“[4]
  • „Wenn Sie ohnehin wissen, was vorgefallen ist, sollten Sie [das Kind] nicht 'verhören'. Doch selbst wenn Sie nicht wissen, was vorgefallen ist – verzichten Sie darauf, es mit Detailfragen zu löchern – dies wird zu weiteren Lügen führen. Wenn Sie wissen, dass Ihr Kind etwas falsch gemacht hat, stellen Sie keine 'Warum'-Fragen. Gehen Sie stattdessen zur Tagesordnung über.“[5]

Siehe auch

Weblinks

Englisch

Fachartikel

Weitere interessante Artikel

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Einzelnachweise