Anekdotische Evidenz
Anekdotische Evidenz (auch: anekdotischer Beweis, Fallbericht oder: anekdotischer Fehlschluss, engl. anecdotal fallacy) ist ein informeller Bericht über Evidenz in Form eines Einzelberichts oder Evidenz, die sich „aus dem Hörensagen“ oder aus einem einem intuitiven Bauchgefühl heraus ergibt. Der Ausdruck wird oft als Gegensatz zur empirischen Evidenz (beispielsweise klinische Studien, Laborstudien) verwendet. Der Wahrheitsgehalt anekdotisch begründeter Begebenheiten scheint oftmals offensichtlich, entsprechend einer „gefühlten Wahrheit“. Anekdotische Evidenz hat jedoch eine schwache argumentative und keinerlei wissenschaftliche Aussagekraft.[1]
Beispiele für anekdotische Evidenz im Kontext ADHS
- Für die angenommene Wirksamkeit von Gewichtsdecken bei ADHS besteht eine gewisse anekdotische Evidenz, da hierzu zahlreiche Fallberichte (Einzelfallbeschreibungen) aus der klinischen Praxis vorliegen. Die wissenschaftliche Befundlage ist aktuell jedoch mangelhaft und erlaubt keine seriösen Aussagen über eine Wirksamkeit.
- Eine hohe anekdotische Evidenz besteht auch für den Zusammenhang zwischen ADHS und erhöhter Kreativität, substantiierte wissenschaftliche Belege stehen jedoch noch aus.
- Vieldiskutiert ist auch die Annahme systematischer ADHS-Überdiagnosen.
Wert und Anwendung
Anekdotische Evidenz ist in wissenschaftlichen Kontexten nicht per se als minderwertig oder wertlos anzusehen, solange ihre Gewichtung, Einordnung und Funktion aufgeklärt wird. Bei Anekdoten handelt es sich oftmals um verbreitete, plausibel erscheinende Annahmen, deren Wahrheitsgehalt zu prüfen ist, zum Beispiel durch Literaturrecherche oder mithilfe experimenteller Forschung. Anekdotisch begründete Annahmen stehen somit häufig prozedural am Anfang und stellen die Grundlage für die Formulierung und Prüfung wissenschaftlicher Hypothesen. So beruhte etwa die erstmalige Untersuchung des Zusammenhangs zwischen ADHS und Photophobie auf der Beobachtung von Denise Bijlenga, dass ADHS-Betroffene häufiger über Lichtempfindlichkeit klagen.
Kommentare
Russell Barkley im Kontext des Zusammenhangs von ADHS und Kreativität
- Kommentar von Russell Barkley[2] zu einem Blogbeitrag von Barry Kaufman:[3] „Auch, wenn dies in der Ratgeberliteratur - zuletzt von Mr. Kaufman - ständig wiederholt wird: Der postulierte Zusammenhang zwischen ADHS und Kreativität ist wissenschaftlich völlig unbelegt. Offensichtlich ist hingegen, dass Kreativität auch unter ADHS-Betroffenen normalverteilt ist. Es gibt keine signifikante Korrelation zwischen ADHS (bzw. der jeweiligen Schweregrade) und erhöhter Kreativität. Einzelfälle, bei denen dies zutreffen mag, begründen Anekdoten, keine wissenschaftliche Evidenz“.
Studien und wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Glaser C. (2019): Anekdotischer Fehlschluss. In: Risiko im Management. Springer Gabler, Wiesbaden
Englisch
- Miller, W., Miller, G. (Journal of American Physicians and Surgeons, 2005): On Evidence, Medical and Legal (PDF. 155 KB)
Weblinks
Englisch
- Lindsay, Don (Lindsay Archive, 01. Mai 2000): Anecdotal Evidence
- Carroll, Robert Todd (Sceptic's Dictionary, 24. Oktober 2014 Anecdotal (testimonial) evidence
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Einzelnachweise
- ↑ Rossboth, Dieter; Gay, John; Lin, Vivian (2007): Einführung in die Evidence Based Medicine. Wissenschaftstheorie, Evidence Based Medicine und Public Health. 1. Aufl. Wien: WUV Univ.-Verl., S. 16 f.
- ↑ https://adhdrollercoaster.org/adhd-news-and-research/dr-russell-barkley-on-adhd-and-creativity/
- ↑ https://blogs.scientificamerican.com/beautiful-minds/the-creative-gifts-of-adhd/